Samstag, 30. November 2013

ein schönes fleckchen erde ...

Albanien war in seiner Geschichte oft und über lange Zeiträume von fremden Mächten besetzt und regiert. Eigentlich logisch, dass es heute entsprechend viele Befreiungen zu feiern gibt. Am 28.11 ist der Nationalfeiertag, auch Unabhängigkeitstag genannt, an welchem die Befreiung von den Türken gefeiert wird. Dieses Jahr übrigens zum 101. Mal. Gleich tags darauf, also am 29.11 folgt dann der Tag der Befreiung vom faschistischen Italien. Feiertage unterscheiden sich im Strassenbild eigentlich kaum von anderen Tagen. Bars, Restaurants und Läden haben in der Regel geöffnet und auch auf dem Bau wird wie meistens an Sonntagen gearbeitet. Büros und Schulen sind hingegen geschlossen, weshalb wir dank dem diesjährigen Kalender in den Genuss eines richtig langen Wochenendes vom Donnerstag bis Sonntag gekommen sind. In gut einer Woche, genauer am 8.12 steht dann übrigens noch der Jahrestag der Befreiung vom kommunistischen Regime an. Dieser Feiertag, der auch als Tag der Jugend bezeichnet wird, fällt heuer allerdings auf einen Sonntag.

Wie dem auch sei. Während die albanischen Arbeitskollegen und Kolleginnen freie Tage natürlich im Kreise ihrer Familien verbringen, sind solche Feiertage jeweils eine gute Gelegenheit, um im Kreise der Schweizer Expats etwas gemeinsam zu unternehmen. Am Freitag fuhren wir mit Matthias, dem Chef von Stephan und mit Tobi, dem Zürcher Praktikanten aus dem Büro los, um das Dorf Petrela (Petrelë) zu besuchen. Petrela ist ein kleines Dorf auf einer Hügelkuppe südlich von Tirana. welches insbesondere wegen seiner kleinen Burg aus dem 15. Jahrhundert bekannt ist. In den letzten Jahren hat sich aber die Gegend um Petrela zunehmend auch zum Wohndomizil für vermögende Neureiche aus der Hauptstadt entwickelt. Entsprechend viele neue und moderne Siedlungen und Villen säumen bereits die enge und steile Strasse hoch zum Dorf.

  

Die Burg liegt auf einem spitzen Berg über dem Dorf und ist über eine Steintreppe zu Fuss erreichbar. Und es gibt mindestens zwei Gründe, diese Treppe hochzusteigen. Erstens gibt es im Turm der Burg ein Restaurant. Und ausnahmsweise ist es einmal nicht eines dieser vielen albanischen Etablissements mit topmodernem Interieur, grellem Licht, weissen Ledersofas und lauter Musik. Nein, es ist eine kleine, einfache Beiz mit Holztischen und einem offenen Kaminfeuer. Und letzteres war auch bitter nötig, denn die Temperaturen sind in den letzten Tagen stark gesunken und zudem blies in dieser erhöhten Lage trotz stahlblauem Himmel und Sonnenschein auch eine zünftig kühler Wind. Das Essen schmeckte einmal mehr vorzüglich, obschon ich auf den Anblick des gegarten Hühnerkopfs im Teller auch gut hätte verzichten können.

  

Der zweite Grund für einen Besuch in Petrela ist die atemberaubende Aussicht. Was uns vor einigen Wochen an Bejram, (einem anderen, diesmal religiösen Feiertag) beim Ausflug auf den Berg Dajti wegen des Wetters noch verwehrt blieb, konnten wir dieses Mal in vollen Zügen geniessen. Von der exponierten Burg aus hat man eine fantastische Weitsicht auf Tirana und die umliegenden Täler. Unsere Fotoapparate und iPhones wurden nahe an ihre Erschöpfung malträtiert. Auch bei anderen Besuchern standen die Fotoapparate im Zentrum des Geschehens. Ein Brautpaar hatte die spektakuläre Kulisse der Burg auch von einem Brautpaar für ein exzessives Fotoshooting ausgesucht. Die arme Braut im kleinen Weissen und deren Freundinnen im dünnen Ballkleid taten einem ob der kalten Temperaturen schon fast leid. Es ist offenbar weltweit so, dass Schönheit halt leiden muss! Ich für meinen Teil war auf jeden Fall froh, dass ich am Morgen in lange Unterhosen geschlüpft war.

Petrela, wahrlich (noch) ein schönes Fleckchen Erde!

Donnerstag, 28. November 2013

schlechtwetterprogramm ...

Nach zwei Monaten fast perfektem Wetter hat jetzt der Herbst mit starken Regenfällen und Höchsttemperaturen von rund 12 Grad auch hier in Albanien Einzug gehalten. Natürlich sind diese Temperaturen im Vergleich zur Schweiz immer noch mild. Es gilt aber zu bedenken, dass viele Gebäude hier über gar keine Heizung oder maximal eine Klimaanlage verfügen, mit welcher sich etwas erwärmte Luft ins Innere blasen lässt. Ein wohliges Ambiente fühlt sich für uns anders an. Und da die meisten Strassen und Plätze über gar kein oder nur ein unzureichendes Abflusssystem verfügen, führt der starke Regen auch immer wieder zu grossflächigen, fast überschwemmungsähnlichen Pfützen, welche den Zugang zu Gebäuden ohne Gummiboot praktisch verunmöglichen. Eigentlich wären jetzt Gummistiefel oder Schuhe mit hohen Sohlen angesagt, aber solche haben wir leider nicht mit dabei.

Der besagte Wetterumschwung ging dann leider auch Hand in Hand mit dem Besuch unserer Freunde Kathrin, Dänu, Role und Schmützu. Die für Gäste obligate Fahrt an den Strand von Durrës oder der nette Nachmittag in der gemütlichen Hafenbeiz ausserhalb der Stadt mussten wohl oder übel einem Alternativprogramm weichen. Also machten wir vor allem das, was wir in diesem Freundeskreis auch zu Hause so gerne tun. Wir sassen in Bars und diskutierten über Gott und die Welt. Und genau wie Lavazh (einfache, mit Hochdruckreiniger ausgestattete und bediente Unterstände zum Autowaschen) und Tankstellen gibt es in Albanien Bars und Kaffees wie Sand am Meer. Wir durften ja bereits viel reisen, aber wir mögen uns an kein anders Land erinnern, in welchem wir mehr Bars angetroffen hätten. Mit Ausnahme von Barcelona vielleicht. Die auffallend hohe Dichte an Gastronomiebetrieben hat wohl vor allem damit zu tun, dass sich der Wunsch vieler Albaner nach einem eigenen Business (und somit der Rolle des Chefs) mit einer Bar relativ leicht realisieren lässt. Und Zeit für einen Drink und einen gemütlichen Schwatz hat man hier definitiv auch bedeutend mehr als bei uns.

Trotz fast ununterbrochenem Regen zog es uns auch nach Tirana. Ein ausgedehnter Spaziergang zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten (inklusive erfolgreicher Suche von Geocaches) wurde aber auch an diesem Tag in regelmässigen Abständen durch einen Barbesuch unterbrochen, um zwischenzeitlich wieder etwas abtrocknen und aufwärmen zu können. Klar, dass die Radio Bar mit seiner stilvollen Innenausstattung im Retrolook nicht fehlen durfte. In der Bar Hemingway gab es dann sehr zur Freude des Rum-Liebhabers Danü sogar einen Flor de Caña aus Nicaragua. Eine willkommene Abwechslung zum lokalen Raki der vorderen Tage. Übrigens findet man in grossen Lettern über der Theke ein Zitat von Ernest Hemingway: "An intelligent man is sometimes forced to be drunk to spend time with his fools!"

Jetzt wo Kathrin, Dänu, Role und Schmützu zurück in der Schweiz sind, hat sich das Wetter zwar wieder etwas beruhigt. Gerne hätten wir aber noch den einen oder anderen Regentag mehr in Kauf genommen, um die Gesellschaft der Vier noch etwas länger geniessen zu können. Es hat extrem Spass gemacht und wir erlauben uns hier (wie zuvor Hemingway), aus der nachträglichen Mail von Dänu zu zitieren: "Es war schön, cool, interessant, lehrreich und gesundheitsschädigend…" Danke, auch wir haben euren Blitzbesuch sehr geschätzt und in vollen Zügen genossen - Wetter hin oder her :-)

Samstag, 23. November 2013

eine ode auf das junge tirana ...

  
Nun sind wir seit zwei Monaten in Albanien. Es wird höchste Zeit, auch einmal einen Blick auf die Hauptstadt unseres Gastlandes zu werfen. Tirana, Tiranë (die aufmerksamen Leser mögen ich vielleicht an die Erläuterungen bezüglich der unterschiedlichen Schreibweise von Ortsnamen hier erinnern) oder im lokalen Dialekt gar Tirona liegt eigentlich nur 40 Kilometer von unserem Wohnort Durrës entfernt. Über die Autobahn erreichen wir in einer guten Viertelstunde den Stadtrand. Je nach Tageszeit und Verkehrsaufkommen sind aber dann schon weitere 30 bis 40 Minuten einzuplanen, bis man das Zentrum erreicht ist. In Albanien hat nach der Wende eine regelrechte Landflucht eingesetzt, worauf sich die Einwohnerzahl von Tirana in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt. Wobei so ganz genau weiss das eigentlich niemand. 2009 waren auf der Stadt rund 625'000 Personen gemeldet, obschon mit der Volkszählung zwei Jahre später interessanterweise "nur" noch 421'000 ermittelt wurden. Da in den Vororten Tausende von Personen nicht registriert sind, entspricht eine Zahl von nahezu 900'000 Einwohnern durchaus einer realistischen Schätzung. Bemerkenswert wenn man bedenkt, dass die Bevölkerungszahl von ganz Albanien mit knapp 3.2 Millionen beziffert wird.

Eine Verdoppelung der Einwohnerzahl binnen 20 Jahren schreit förmlich nach einem Chaos! Und genau so haben wir Kinder vom Land Tirana am Anfang auch erlebt. Gross, laut, schmutzig, vollgestopft, voller Baustellen, konzeptlos in Bezug auf die Infrastruktur und den Verkehr, teilweise heruntergekommen, obschon noch gar nicht fertiggestellt… eben, irgendwie einfach chaotisch. Und wir waren dankbar und froh, in Durrës wohnen zu dürfen und nicht in Tirana.

Zwei Monate später und nach unzähligen beruflichen Verpflichtungen und privaten Ausflügen haben wir jetzt ein ganz anderes, differenzierteres Bild von Tirana erhalten. Dabei haben wir bemerkt, dass offenbar gewisse äussere Umstände mit der Zeit normal und dadurch auch ausgeblendet werden. Wir haben den Blick des aussenstehenden Fremden auf das Ganze verloren. Dafür aber haben sich unsere Sinne für die kleinen Dinge, für die Details geschärft. Und siehe da, plötzlich entdeckt man ganz stilvoll eingerichtete Geschäfte und Kneipen, nimmt man die Bäume entlang den Strassen wahr, findet hübsche kleine Parks, bestaunt die interessanten Gebäude und Fassaden aus verschiedenen Epochen und in unterschiedlichsten Baustilen und stört sich auch nicht mehr daran, dass sie als Einheit eigentlich überhaupt nicht zusammen passen. Ja, Tirana hat viel Charme, Tirana sprüht vor Energie, Tirana feiert, Tirana gibt sich mondän und in Tirana herrscht insbesondere bei der jungen Bevölkerung Aufbruchsstimmung. Ab und an macht es zwar den Eindruck, dass man die Richtung des Aufbruchs noch nicht so wirklich benennen kann, aber das ist allemal besser, als ob all der real existierenden Notstände im Selbstmitleid zu versinken. Ja, wir haben richtig lebensfrohe, aufgeschlossene, gebildete und kultivierte jungen Menschen in Tirana getroffen. Vielleicht auch deshalb haben wir die Stadt inzwischen in unser Herz geschlossen.

Leider (oder zum Glück) lassen sich der Puls und die unvergleichbar Ausstrahlung von Tirana mit all seinen sympathischen, kleinen Nuancen nur schlecht auf Fotos festhalten. Die, auf dem Dach des Sky Hotels aufgenommenen Panoramabilder oben sind ein kleiner Trost. Unser Tipp lautet deshalb: Beim Planen der nächsten Städtereise unbedingt an Tirana denken!

Dienstag, 19. November 2013

besuch aus der schweiz ...

Wenn wir hier in Albanien Besuch aus der Schweiz empfangen dürfen, ist das in vielerlei Hinsicht eine tolle Sache. Einerseits ist es für uns jeweils eine Wertschätzung, wenn uns Freunde besuchen und sich für unser Leben und unsere Arbeit hier interessieren. Auf der anderen Seite ist es für uns auch immer wieder ein Ansporn, etwas aktiv zu unternehmen und so Land und Leute selber noch besser zu erkunden. Und last but not least ist es für uns auch immer eine gute Gelegenheit, die neusten Geschichten aus der Heimat zu erfahren ;-)

Am vergangenen Wochenende durften wir Caro auf einen Kurzbesuch willkommen heissen. Das herrliche Wetter mit weit über 20 Grad und Sonnenschein war die perfekte Einladung für gemütliche Spaziergänge durch Durrës, unterbrochen durch regelmässige Energiestopps in den unzähligen Strassenkaffees und Bars der Stadt. Am Sonntag ging es dann noch auf Entdeckungstour nach Tirana. Nach inzwischen vielen geschäftlichen Terminen und einigen abendlichen Besuchen war es am Sonntag auch für Stephan das erste Mal, bei welchem er richtig Zeit fand, diese pulsierende Metropole etwas genauer zu erkunden und zu geniessen. Das vielfältige und lebendige Tirana ist definitiv ein eigener Blogbeitrag wert, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt, denn die von Veronika gekochte frische Gemüsesuppe steht nämlich bereit auf dem Tisch. Für den Moment bedanken wir uns herzlich bei Caro für ihren Besuch, ihr Interesse und die Freundschaft. Wir haben die gemütlichen Stunden sehr genossen. Danke!

Mittwoch, 13. November 2013

ein dorf sorgt für furore ...

Häufig trifft man im albanischen Alltag und insbesondere im Berufsleben auf eine unglaubliche Hierarchiegläubigkeit. Der Chef weiss alles, was der Chef sagt stimmt immer und genau so muss es auch gemacht werden. Oft wird aus diesem Grund auch einfach darauf gewartet. bis der Chef kund tut, wo es lang geht. Auch Regeln und klare Strukturen werden sehr geschätzt. Irgendwie schützt das offenbar davor, selber entscheiden zu müssen. Die 40 Jahre Diktatur und Isolation haben da tiefe Spuren hinterlassen. Im Job ist dieses Denken nicht immer ganz einfach für uns. Wir sind uns kooperative und partizipative Führung gewohnt und bei uns stehen Eigenschaften wie Initiative und Eigenverantwortung hoch auf der Anforderungsliste der Chefs.

Und immer dort wo Beziehungen statt auf Zutrauen und Vertrauen auf Hierarchie und Regeln aufgebaut sind, lässt auch die Kontrolle nicht lange auf sich warten. Als hätten die Albaner nicht lange genug in einem Überwachungsstaat gelebt, ist es nach wie vor (oder vielleicht auch erst wieder) absolut legitim, wenn zum Beispiel eine Schuldirektorin Videokameras in ihren Schulzimmern installieren lässt, um dann den ordnungsgemässen Schulbetrieb bequem in ihrem Direktorensessel sitzend auf dem Bildschirm überwachen zu können. Und das Ganze wird dann noch mit Stolz als technische Errungenschaft und Fortschritt präsentiert. Na ja, in der Schweiz würde keine einzige Lehrkraft in einem solchen Umfeld arbeiten und auch sämtliche Schüler und Schülerinnen – Eltern inklusive – würden Sturm laufen. Ganze geschweige von unserem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten, dem ob solchen Praktiken ein akuter Herzstillstand drohen würde. Hier werden solche Kontrollen durch Vorgesetzte oder Autoritäten in der Regel aber (noch) regungslos akzeptiert oder sogar als normal empfangen.

Hierarchie, Regeln und Gehorsam scheinen hier also wichtig zu sein. Wirft man dann aber einen Blick auf das Baurecht, den Verkehr oder das Arbeitsrecht, dann scheinen Regeln und deren Einhaltung völlig inexistent zu sein. Ohne jegliche Bewilligungen, ohne Zonenkonzept und oft auch ohne rechtlich gültigen Anspruch auf den Boden wird nach Belieben gebaut. Im Verkehr sind Weitsicht, Aufmerksamkeit, Geduld und Toleranz die viel besseren Ratgeber als ein Gesetz zur Vortrittsregelung (auch wenn es das auf dem Papier sicher gibt). Und als Arbeitnehmer schliesslich tut man halt einfach gut daran, den Chef und seine Position uneingeschränkt zu akzeptieren. Andernfalls ist man unter Umständen seinen Job relativ rasch los, denn Arbeitsverträge existieren häufig keine und auf der Strasse wartet bereits mindestens ein Dutzend motivierte Nachfolger für den Job.

Albanien ist in einigen Bereichen wirklich ein Land voller Gegensätze und Extreme. Hier Struktur und Ordnung und da gleich nebenan, Chaos und Willkür. Ich will diese Beobachtung persönlich gar nicht werten. Und ausserdem gibt es auch ganz viele Bereiche, die hier absolut positiv und normal funktionieren, wenn man als Norm die Schweiz zum Vergleich heranzieht. Bekanntlich ist ja alles eine Frage des Referenzpunkts.

Nein, eigentlich habe ich ja einfach nach einer Einleitung für eine andere Geschichte gesucht. Eine, die letztlich auch mit Regeln und Gesetzen zu tun hat und eine, die ich in dieser Form hier nicht erwartet hätte. Doch schön der Reihe nach. Neulich hat mich eine Mail eines Freundes aus der Schweiz erreicht (Danke Jürg). Den Worten "Ich habe Erstaunliches gelesen" war ein Zeitungsartikel aus der Schweizer Presse angefügt, in welchem von der gesamten Dorfbevölkerung eines albanischen Dorfes berichtet wird, die nach der Arbeit auf Cannabisfelder allesamt in ärztliche Hilfe gebracht werden mussten. Was für eine Geschichte aus der Rubrik Gosse, habe ich mir gedacht. Klar ist das Kiffen hier ab und zu ein Thema, vor allem bei Studenten. Aber noch nie hätte ich jemanden öffentlich dabei beobachtet, geschweige denn von verkaufswilligen Typen angesprochen worden, wie es beim Gang durch einen Bahnhof in der Schweiz Alltag ist.

Natürlich habe ich meine albanischen Arbeitskollegen (und die sind praktisch allesamt ü50) gleich mit dem Zeitungsartikel konfrontiert. Eigentlich wollte ich etwas provozieren, ein wenig an den Strukturen rütteln. Zurück kam überraschenderweise nur Zustimmung, herzliche Lacher und die ungläubige Blicke, weil ich diese Story und deren Hintergründe noch nicht kannte. Freundlich klärte man mich in der Folge über diese ominöse Ortschaft Lazarat auf.

Lazarat ist ein kleines Dorf im Süden von Albanien. Deren Dorfbewohner hatten nach dem Zerfall der kommunistischen Diktatur die Einführung der freien Marktwirtschaft auf ihre eigene Art interpretiert und den Anbau von Hanf als Businessmodell gewählt. Und ganz offenbar war die Businessidee gut, der Markt (wohl eher im Ausland) vorhanden und die Geschäfte florierten. Die Zuwanderung an Arbeitskräften nahm zu und die Produktion wurde gesteigert. Doch weil es auch hier Gesetzte gibt, entsandte die Regierung eines Tages ihre Ordnungshüter, um wieder Zucht und Ordnung herzustellen. Doch die Dorfbewohner hatten bereits vorgesorgt und mit dem neu erlangten Reichtum ihre eigenen Ordnungshüter angestellt. Unverrichteter Dinge zog die Polizei also von Dannen. Auch der Versuch der italienischen Polizei, die Grösse der Anbaufläche mit einem Helikopter zu erkunden, musste aufgrund des Beschusses abgebrochen werden. Lazarat wurde zum Politikum, aber seit Jahren ist es keiner Regierung gelungen, das inzwischen quasi autonome Dorf zu bändigen. Die Polizei traut sich bis heute nicht hin. Wer etwas im Internet recherchiert, wird auch einige Stories dazu finden. Besonders witzig ist die auf youtube filmisch festgehaltene Fahrt zweier durchgeknallter Holländer mit lokal gekauften Mopeds nach Lazarat. Ungläubig geben sie zu Protokoll, dass sogar die örtliche Schule neben einem Hanffeld stehe. Ich verzichte auf die Verlinkung dieser Beiträge, denn ich will schliesslich mit meinem Blog nicht plötzlich der Zensur zum Opfer fallen. Auf einen Link will ich aber nicht verzichten, denn selbst das Schweizer Radio hat im vergangenen August über Lazarat berichtet: Bergdorf als Drogenhochburg in Südalbanien.

Grundsätzlich ist die Geschichte ja weder lustig, noch gesund. Trotzdem ist sie irgendwie frisch und witzig, weil sie eben diese Gegensätze deutlich aufzeigt, die Albanien so spannend und irgendwie auch sympathisch machen. Angesprochen auf das Dorf Lazarat bemerkt man auch bei vielen Albanern eine gewisse Sympathie. Nicht wegen dem Cannabis, sondern vielmehr wegen der Unverfrorenheit dieses Dorfes gegenüber Hierarchien, Regeln und Gesetzen und der Unfähigkeit der Autoritäten, diese Regeln und Gesetze durchzusetzen.

Ach ja, do not panic! Lazarat steht nicht auf unserer Wunschliste von Ausflugszielen in Albanien :-)

Dienstag, 12. November 2013

spannende doku ...

Dank einem Hinweis eines Arbeitskollegen hier bin ich auf einen tollen Dokumentarfilm über Albanien gestossen. Danke Tobi! SRF Virus sind die Macher dieses unterhaltsamen und erfrischenden Films, der einen spannenden Blick aus Schweizer Sicht auf Albanien und vor allem die Hauptstadt Tirana wirft. Der mit schönen Bildern untermalte Clip beleuchtet die jüngere Geschichte, thematisiert die gängigsten Klischees, spricht von Träumen und der Hoffnung der Jugendlichen aber zeigt vor allem auch, wo der Schuh in Albanien noch immer drückt. Aus meiner Sicht und persönlichen Erfahrung versteht es der Film ausgezeichnet, die ach so omnipräsenten Gegensätze, die kulturellen Unterschiede (trotz geografischer Nähe) und die alltägliche Skurrilität auf den Punkt zu bringen, ohne dabei voreilige Schlüsse zu ziehen. Wer sich dafür interessiert, in welchem Umfeld wir im Moment Leben und Arbeiten, dem können wir die 30 Minuten Unterhaltung wärmstens empfehlen. Auch wer schon einmal hier war, wir sicher das eine oder andere Déjà-vu erleben und sich an einigen Stellen das Schmunzeln nicht verkneifen können. Mit freundlicher Empfehlung an Christian, Dominik, Deiv, Mami, Trix und Beat :-)

Übrigens:
  • Die Bilder zwischen Minute 18.00 und 20.55 wurden in Durrës aufgenommen, der Stadt, die im Moment unser Zuhause ist.
  • Einen Ziegenkopf haben wird bis jetzt noch nicht gegessen, denn das kulinarische Angebot hier sieht durchaus auch andere Speisen vor und die albanische Küche schmeckt übrigens ausgezeichnet.
  • Im Ausgang sind auch wir ab und zu in der Radio Bar anzutreffen (im Film ab Minute 24.20), gell Tobi :-)
Nichts wie los! Wir wünsche viel Vergnügen...



http://youtu.be/xoF-x1itGCY

Sonntag, 10. November 2013

von strom- und wasserrechnungen ...

Die Wohnung hier in Durrës wird uns vom Arbeitgeber von Stephan zur Verfügung gestellt, weshalb wir glücklicherweise nichts mit der Miete zu tun haben. Wie in der Schweiz fallen aber auch hier Nebenkosten für Strom, Wasser und den Gebäudeunterhalt an, welche es monatlich zu bezahlen gilt. Da die staatliche albanische Post die Briefpost nicht wie bei uns in die einzelnen Haushalte verteilt, schickt die tschechische Stromfirma, die städtische Wasserversorgung und die Gebäudeverwaltung ihre eigenen Boten los, um die monatlichen Rechnungen zu den Kunden zur bringen. Uns ist es bis dato absolut schleierhaft, wie diese Boten mit den Rechnungen (die übrigens allesamt auf den Namen des Wohnungseigentümers ausgestellt sind) unsere Türe finden, denn in unserem Hochhaus gibt es weder Briefkästen, noch sind die Türen nummeriert oder namentlich beschriftet. Aber irgendwie scheint es zu funktionieren, denn gegen Monatsende werden einem jeweils die Rechnungen vor die Haustüre gelegt. Ok, es ist auch schon vorgekommen, dass ein Bote die Rechnungen für das ganze Haus einfach im Lift deponiert hat und sich dann jeder Mieter bei der nächsten Liftfahrt seine Rechnung aus dem Stapel geholt hat – vorausgesetzt er hat den Lift benutzt, in welchem die Rechnungen gelegen haben. Denn der Architekt des Hauses hat immerhin daran gedacht, zwei Lifte einzubauen. Mit dieser Strategie wird sichergestellt, dass sicher immer ein Lift funktioniert, wie uns der Verwalter stolz erläutert hat.

Wenn man dann also im Besitze seiner Rechnungen ist, geht es darum, diese zu begleichen. Grundsätzlich gäbe es offenbar die Möglichkeit der Banküberweisung, aber wiederum unser Verwalter rät aus Erfahrung davon ab, weil ihm die Bank schon mehr als einmal zwar die Überweisung belastet hat, dass Geld dem Empfänger aber nie gutgeschrieben wurde. Auch eine Einzahlung per Post scheint hier nicht üblich oder gar nicht möglich zu sein, denn die Rechnungen enthalten keinen Einzahlungsschein. Es ist also besser, wenn man die Rechnungen direkt und bar in den eigens dafür vorgesehenen Büros der einzelnen Firmen begleicht. Als Beleg erhält man dann einen Stempel in das sogenannte Librezë der jeweiligen Firma, einem kleinen Büchlein ähnlich unserem gelben Postbüchlein von anno dazumal.

Konkret bedeutet das für mich als Kunden, dass ich morgen Nachmittag alle meine Rechnungen und die Librezë packe und dann zuerst zum Büro der CEZ Shpërndarje Sh.a gehe, um dort rund 3000 Lekë oder 27 Franken für den Stromverbrauch im Oktober zu bezahlen. Glücklicherweise ist dieses Büro gleich in der Nähe. Danach geht es weiter ins Büro der Ujësjellës Kanalizime Sh.a Durrës, um dort weitere 1200 Lekë (11 Franken) für das Wasser und die Kanalisation zu bezahlen. Wo das Büro der städtischen Wasserversorgung ist, weiss ich im Moment noch nicht, aber ich werde mich durchfragen. Und bei Verständigungsproblemen kann ich ja immer noch mein Librezë der UKD zeigen und man wird mich sofort und ohne weitere Worte verstehen.

Ebenfalls unklar ist mir bis heute, wo ich meine 1000 Lekë für den allgemeinen Unterhalt (Putzen der Treppenhäuser, Reparaturen des Lifts etc.) am Gebäude begleichen kann, damit ich ordnungsgemäss einen Stempel und eine Unterschrift in mein Librezë Administrim Pallati bekomme. Ich werde wohl einfach den Verwalter anrufen und ich bin sicher, dass er neben der richtigen Antwort auch gleich noch Zeit für einen Kaffee irgend in einer Bar hat.

Sofern mir dann vor dem Feierabend der Banken noch genügend Zeit bleibt, werde ich noch die Rechnung für den privaten Gebrauch meines Geschäftswagens begleichen. Bei einem unerwartet hohen Benzinpreis von rund 1.60 bis 1.70 Franken pro Liter ist es nachvollziehbar, dass ich für jeden privat gefahrenen Kilometer 40 Lekë (rund 35 Rappen) bezahle, wobei das Benzin natürlich inbegriffen ist. Für das Benzin erhalte ich übrigens monatlich Coupons, welche ich dann an gewissen Tankstellen einlösen kann. Vielleicht weil der Prozess der Verrechnung des Privatgebrauchs von Geschäftsfahrzeugen bei meinem Arbeitgeber von Schweizern geprägt wurde, kann genau diese Rechnung atypisch nicht in bar beglichen werden und es gibt auch kein Librezë. Dafür muss ich nämlich in eine Filiale der Intesa Sanpaolo Bank Albania, um den geschuldeten Betrag auf das entsprechende Konto dieser Bank einzuzahlen.

Für Unterhaltung und Bewegung ist morgen nach der Arbeit also garantiert gesorgt. Bei aller Ironie in den Zeilen oben sollte man aber nicht vergessen, dass die genannten Nebenkosten bei einem durchschnittlichen Einkommen von knapp 300 Franken pro Monat für viele albanische Familien eine immense Belastung darstellen. Dem gegenüber scheint  die beanspruchte Zeit zur Abwicklung dieses monatlich wiederkehrenden bürokratischen Marathons fast bedeutungslos zu sein.

familienausflug nach berat ...

Letzte Woche hatten wir ganz besonderen Besuch aus der Schweiz. Silvia, die Mutter von Stephan, seine Schwester Beatrice und ihr Partner Beat haben sich auf das "Abenteuer" eingelassen und uns hier in Albanien besucht. Während Stephan seiner täglichen (nach Schweizer Massstäben eher halbtäglichen) Arbeit nachgegangen ist, hat sich vor allem Veronika ins Zeug gelegt, um den Dreien möglichst viele Facetten und Eindrücke unseres Gastlandes zu zeigen. Wir durften vergnügte, spannende und auch skurrile Momente zusammen erleben (der Hardcore-Missionar mit der ZH Nummer am Roller lässt grüssen). Für uns war es aber auch sehr interessant zu beobachten, wie die Albanien-Neulinge die vielen Unterschiede und die Eindrücke aufnehmen würden, denn für uns ist Vieles bereits zur Normalität geworden. In gewissen Bereichen wie dem Verkehr, dem Lärm oder der Kurzfristigkeit und Planungsunsicherheit im Arbeitsalltag ist das auch absolut wünschenswert und in Ordnung, denn sonst würde man sich auf die Dauer sehr aufreiben. In anderen Bereichen wie dem Klima, der Hilfsbereitschaft, der Herzlichkeit und der Gastfreundschaft der Leute oder dem vorzüglichen Essen ist es eher schade, wenn solche tolle Aspekte einfach zur Normalität verkommen. Wie dem auch sei, rückblickend dürfen wir festhalten, dass sich unsere Gäste mit grosser Offenheit und Neugier auf die Woche eingelassen haben. Mami, Trix und Beat: Ihr ward toll und wir haben die Woche mit euch sehr genossen. Danke!

Einer der vielen Höhepunkte war der Ausflug nach Berat. Zur Feier des Tages, Beat hatte Geburtstag, hat auch Stephan frei gemacht und mit einem angeheuertem Chauffeur und einem komfortablen Minibus haben wir die rund 90 Kilometer Richtung Süden unter die Räder genommen. Und das kann dann schon etwas dauern, den auf rund der Hälfte der Strecke von Lushnjë bis Berat ist die Strasse in einem sehr schlechten Zustand. Alle paar hundert Meter klaffen riesige Löcher im Asphalt. Die (albanische) Begründung ist auch denkbar einfach, denn Berat gilt als Hochburg der Sozialisten und deshalb haben die Demokraten, welche das Land von 2005 bis Mitte 2013 regiert haben, auch keinerlei Anlass gesehen, nur einen einzigen Franken (oder eben Lekë) in den Unterhalt dieser Strasse zu investieren. Unvorstellbar würde man meinen, aber ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an den jahrelangen Baustopp der Autobahn auf der Berner Seite, nachdem die Abtrünnigen im Jura 1978 einen eigenen Kanton gegründet haben. Einmal mehr eine interessante Parallele. Vom Jura aber jetzt zurück auf die Strasse nach Berat. Nach dem Wahlsieg der Sozialisten in diesem Sommer wird zwar jetzt an der Strasse gearbeitet, aber bis zur Fertigstellung werden sicher noch Monate ins Land ziehen und bis dahin sind die vielen Baustellen eher noch zusätzliche Hindernisse.

Nach rund 2 Stunden abwechslungsreicher Fahrt hatten wir dann das erste Etappenziel erreicht: Weinkellerei Çobo. Ja, in Albanien gibt es nämlich auch eine alte Tradition für Weinbau und die Albaner machen auch richtig guten Wein. Und genau davon haben wir uns bei einer kurzen Führung und einer eher längeren Degustation überzeugen lassen. Es ist nicht so, dass uns gerade jeder vorgestellte Tropfen aus den Socken gehauen hätte, aber einem durchschnittlichen Roten aus dem Wallis vermögen die Weine hier durchaus Paroli zu bieten. Und irgendwie haben auch albanische Weine diese magische Wirkung, denn im Showroom der Weinkellerei kam langsam auch etwas Geburtstagsstimmung auf. Und die verbleibende halbe Stunde Fahrt nach Berat verging auch wie im Fluge.

Berat ist eine der ältesten Städte Albaniens und ist auf der Liste der UNESCO-Weltkulturerben. Im Zentrum des Interesses liegt die Kalaja e Beratit, die Burg von Berat. Neben Kruja (vgl. Beitrag vom 28.10.2013) ist sie die einzige mittelalterliche Burganlage, die heute noch bewohnt wird. Innerhalb der Burgmauern leben nach wie vor rund 350 Familien. Die malerischen Steinhäuser mit ihren dicken Mauern und den hübschen kleinen Gärten scheinen sich seit Jahrhunderten nicht verändert zu haben. Exklusiv ist aber auch die tolle Aussicht vom Burghügel, die man bei schönem Wetter geniessen kann. Und einmal mehr hatten wir mit rund 25° Grad, Sonnenschein und strahlend blauem Himmel das Wetterglück auf unserer Seite. Und das im November! Die Aussicht auf die Stadt Berat, den Fluss Osum und die Gebirgsketten des Tomorri im Osten und des Shpirag im Westen waren einfach atemberaubend. Eine würdige Geburtstagskulisse für Beat!

Samstag, 2. November 2013

quiz am samstag ...

Was ist hier falsch?


Über den Hintergrund solcher selbstgefertigten Nummernschilder habe ich ja an anderer Stelle bereits berichtet. Hier handelt es sich aber um ein besonders originelles Exemplar...