Mittwoch, 10. September 2014

vom autoexport ...

Vor zwei Wochen war ich beruflich wieder einmal kurz in Albanien. Aufgrund meiner inzwischen häufigen und auch längeren Reisen ins Land des doppelköpfigen Adlers ist mir Vieles inzwischen sehr vertraut und teilweise auch sehr ans Herz gewachsen. Die zwei Tage vergingen wie im Flug und neben einigen Meetings im neuen Projekt und einem unterhaltsamen Nachtessen mit einem Freund, blieb mir praktisch keine Zeit, um den Sommer, den wir dieses Jahr in der Schweiz so schmerzlich vermissen, etwas intensiver zu geniessen.

Auf der Heimreise durfte ich dann aber noch eine amüsante Geschichte erleben, die ich der Leserschaft nicht vorenthalten will. Auf der einen Seite unterstreicht sie zwar einige Klischees und Stereotypen, welche wir Westeuropäer von den Albanern haben. Auf der anderen Seite zeigt sie aber auch ganz eindrücklich, welche Mühen und Strapazen einige Leute für den Erfolg auf sich nehmen. Irgendwie beeindruckend.

Während dem Einchecken im Flughafen von Tirana werde ich von einem Flughafenangestellten angesprochen, ob ich wohl nach Zürich fliege? Auf meine Bestätigung fragt er dann in höflichem Englisch, ob er mich um einen Gefallen bitten dürfe? Doch noch bevor er seine Frage fertig formulieren kann, ertönt es von hinten schon in breitem und nicht ganz akzentfreiem Balkanslang "Hei, kasch dütsch?". Ich drehe mich um und mustere einen Mittvierziger mit kurzen, oder besser gesagt sehr kurzen Haaren, einem kleinen Wohlstandsbauch und gekleidet - wie könnte es anders sein - in einen Trainingsanzug. Mit einem breiten Lächeln fragt er mich: "Kasch du für mi Autonummero i d'Schwiiz neh?". Ich begreife die Situation nicht auf Anhieb, was der gut gelaunte Kosovare (ich schiele auf den Pass in seiner Hand) auch sofort bemerkt. Sofort erklärt er mir, dass er natürlich auch in die Schweiz fliege, schliesslich wohne er da. Da er aber über keinerlei Gepäck zum Einchecken verfüge, habe er ein Problem mit seinen Nummernschildern, die er leider nicht einfach so unter dem Arm in Flugzeug nehmen könne. "Weisch, Nummero von Sankt Gallen!", erklärt er mich, begleitet von einem bereiten Schmunzeln. Der Typ ist mir irgendwie sympathisch, seine Nummern schnell in meinem Koffer und gemeinsam beginnen wir unsere Rückreise über Ljubljana nach Zürich.

Während der Wartezeit bleibt genügend Zeit für einen ausgedehnten Schwatz. Meine Neugier über den Hintergrund des Überfluges von Schweizer Kennzeichen ist natürlich riesengross, aber ich halte mich zuerst vornehm zurück. Klar habe ich eine Vorahnung. Unweigerlich kommen mir die kleinen, mit Schreibfehlern gespickten Kärtchen in den Sinn, welche Autoexporteure in der Schweiz jeweils unter den Scheibenwischer von Veronikas alten BMW klemmen. Beim spendierten Kaffee erzählt mir der neu gewonnene Freund dann, dass er vor vier Tagen in der Schweiz mit einem Renault Clio abgefahren sei und diesen nun hier in Albanien verkauft habe. Stolz erklärt er mir, dass dies bereits der 38. Wagen gewesen sei, denn er nach Albanien oder in den Kosovo gefahren habe. Und übrigens seien kleine und ökonomische Wagen inzwischen viel gesuchter als all die alten Mercedes und BMW."Kasch guets Gäld mache!".

Spannend. Aber irgendwie habe ich das Businessmodell noch nicht verstanden. Schon gar nicht, wenn ich mir die Zeit und die Kosten für lange Fahrt in den Balkan und die Kosten für den jeweiligen Rückflug vorstelle. Nein, stellt er sofort klar. Normalerweise fliege er nicht und reise wesentlich billiger mit dem Bus zurück. Aber diesen Samstag müsse er wieder arbeiten. Wie bitte? Arbeiten? Bis zu diesem Zeitpunkt war ich davon ausgegangen, dass eben dieser Autoexport auch seine Arbeit sei. Weit gefehlt. Ich erfahre, dass er in einer Maschinenfirma in der Nacht- und Wochenendschicht an der Drehbank steht. Und da melde er sich dann immer für zusätzliche Überzeit, die er sich dann aber nicht auszahlen lasse, sondern die geleitete Überzeit kompensiere. Und diese Zeit nutze er dann, um Occasionsautos in den Balkan zu fahren.

Ich frage mich und mit etwas Überwindung auch ihn, ob denn der Lohn aus der Maschinenfabrik für ein gutes Leben nicht ausreichend sei? Doch, doch beruhigt er mich. Aber er habe eben schon noch etwas grössere Ambitionen für die Zukunft.  Und schliesslich sollten es seine beiden Kinder einmal besser haben. Aha, er hat also auch Familie.

Inzwischen sind wir im Warteraum in Ljubljana. Mein Angebot für ein Bier lehnt er dankend ab. Als Moslem trinke er keinen Alkohol. Er kauft sich dafür im Duty Free eine grosse Packung slowenischen Rauchschinken. "Händ guets Fläisch da!". Genussvoll drückt er das Fleisch ohne Brot herunter und gönnt sich danach noch ein Erdbeereis. Im Gespräch erfahre ich, dass er als Folge des Konflikts in seinem Heimatland seit 1998 in der Schweiz ist. "Hani viiiel und hart gschaffet". Allerdings habe er dafür heute ein Haus im Kosovo und eines in Albanien. Darüber hinaus habe er vor kurzem eine Fitnessstudio in Tirana eröffnet. Und wenn er jeweils ein Auto nach Albanien fährt, dann könne er gerade noch den Betrieb dieses Studios kontrollieren Und da er hier auch eine Haus habe, sei auch die Hälfte seiner Kleider hier. Klar, das begründet auch, weshalb er ohne Gepäck und nur mit den Kennzeichen reist. "Hani viiiel gschaffet, aber heute hani au viel!". Er strahlt über das ganze Gesicht. Und ich, ich mag diesem Arbeitstier seinen erlangten Wohlstand von Herzen gönnen, bin aber gleichzeitig dankbar und froh, dass wir unsere Leben nicht tauschen müssen.

Nach interessanten und lehrreichen fünf Stunden, ich kenne jetzt sämtliche Formalitäten und Tricks beim Export von Autos, stehen wir dann am Gepäckband im Flughafen Zürich. Mein Koffer kommt, ich gebe ihm seine Nummernschilder, ein kräftiger Händedruck und eine spontane und spannende Begegnung nimmt ihr (vorläufiges) Ende. Während ich diese Zeilen schreibe, steht er wahrscheinlich an der Drehbank oder ist mit einem Auto unterwegs Richtung Südosten.

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