Freitag, 16. Mai 2014
erinnerungen an meine lehrzeit ...
In vielen Berufsbildungsprojekten in Entwicklungs- und Schwellenländern stellt die aktive Mitarbeit des Privatsektors eine grosse Herausforderung dar. Häufig fehlt es an funktionierenden Berufs- oder Interessenverbänden aus der Wirtschaft, welche sich der Berufsbildung in ihrem Sektor annehmen. Firmen beklagen sich zwar über fehlende qualifizierte Fachkräfte, aber die Ausbildung von Jugendlichen wird traditionellerweise als Auftrag des Staates verstanden. Und häufig münden dann solche Bildungssysteme wie in Albanien darin, dass ein schwindelerregender Anteil von rund 80% der Jugendlichen den gymnasialen Weg einschlägt, um später an einer Universität zu studieren. Diese massive Akademisierung führt dann wiederum dazu, dass unglaublich viele studierte Juristen, Ingenieure oder Ökonomen in Supermärkten, Hotels und Bars arbeiten, weil sie in der realen Wirtschaft wegen fehlender Praxis oft nicht zu gebrauchen sind oder weil eine Nachfrage für ihre Berufsgruppe schlicht fehlt. Ausserdem führt der hohe Anteil an Studierten dazu, dass Berufslehren in der Gesellschaft leider einen schlechten schlechten Ruf geniessen. Eltern, die etwas auf sich haben, schicken ihre Kinder an die Universität (und wenn sie es vermögen noch besser an eine private Uni), aber sicher nicht in eine Berufslehre!
Neulich wurde ich aber Zeuge einer äusserst positiven Zusammenarbeit des Privatsektors mit staatlichen Bildungsinstitutionen. Ein albanischer Grossverteiler von Baubedarf lädt jährlich zehn Berufsschulen aus ganz Albanien zur Berufsolympiade ein. Angehende Sanitärinstallateure, Elektriker, Möbelschreiner, Gärtner und andere Berufe messen sich dann auf dem grossen Parkplatz des Grossverteilers während einem Tag in praktischen Arbeiten. Den Gewinnern winkt eine Gutschein von 3'000 Euro, welcher die Schule für den Bezug von dringend benötigtem Ausbildungs- und Verbrauchsmaterial verwenden kann. Das ist eine unglaublich hohe Summe für albanische Verhältnisse und entsprechend lautstark und enthusiastisch wurden die Teilnehmenden durch ihre Schulkollegen, Lehrer und gar Schuldirektoren zu Höchstleistungen angetrieben. Ab und zu wähnte ich mich eher an einem Fussballspiel.
Beim Beobachten der Elektriker wurde ich dann an meine eigene Lehrzeit erinnert, als ich und meine Kollegen in den Einführungskursen wie Kühe in Boxen unsere ersten elektrischen Installationen an die uns umgebenden Holzwände geschraubt haben. Trotz gewisser Parallelen waren aber doch einige Unterschiede auszumachen. Während Herr Wolleb, unser berüchtigter Einführungskursleiter, bei der Arbeit stets absolute Ruhe und Konzentration verlangte, wurden die Albaner den ganzen Tag massiv mit den aktuellen Hits aus den Charts beschallt. Ja, Musik darf hier nicht fehlen. Und obschon während meiner Lehre in der Schweiz das Rauchen vielerorts noch erlaubt war, hätte dies unser Herr Wolleb während der Arbeit nie und nimmer geduldet. Hier in Albanien gehört auch das dazu wie das Amen in der Kirche und die Experten der Jury oder die Lehrer machen selber gleich den Anfang. Gepafft wird wirklich immer und überall. Schmunzeln musste ich auch über die weissen Handschuhe, welche die angehenden Elektriker übergezogen hatten. Dann erinnerte ich mich aber wieder daran, wie oft ich nach getaner Arbeit noch Finger- und Handabdrücke auf Kanälen oder Tapeten reinigen musste. Da hätten mir solche Handschuhe sicher oft einen guten Dienst erwiesen.
Als Unterschied sei noch erwähnt, dass unsere damaligen Chefs mit Sicherheit uns Lehrlinge dafür verantwortlich gemacht haben, wenn Resultate oder Prüfungen nicht ganz so gut wie erhofft herausgekommen sind. Hier in Albanien protestierten nach der Bekanntgabe der Resultate einige Lehrer sehr lautstark und stellten sofort die Vertrauenswürdigkeit der Jury in Frage. Ein Handgemenge konnte dann dank geduldiger Zeitgenossen zwar vermieden werden, aber die Delegationen einiger Schulen verliessen die Veranstaltung noch während der Rangverkündigung enttäuscht und mit hängenden Köpfen. Hier scheint es (vor allem bei Lehrern) bezüglich Vorbildwirkung; Wettbewerb, Fairness und Konfliktbewältigung noch Entwicklungspotenzial nach oben zu geben. Wie dem auch sei! Die Berufsolympiade war ein toller Event und ist definitiv ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Wer weiss, wie lange es noch geht, bis eine Delegation mit Berufsleuten auch an den Berufsweltmeisterschaften teilnimmt? Die Anwesenheit der Presse und Fernsehstationen hat nicht nur den Grossverteiler als Organisator und die teilnehmenden Schüler und Schülerinnen glücklich und stolz gemacht, sondern sicher auch dazu beigetragen, dass die sonst eher schlecht angesehene Berufsbildung in einem positiven Licht dargestellt wurde. Die grosse Präsenz der Medien lässt sich zwar eher auf den angekündigten Auftritt des Ministers als auf das Thema des Events zurückführen. Aber weil in Albanien vieles kurzfristig ändert, liess sich dann auch der Minister trotz Presse durch seine Vizeministerin vertreten.
Autor:
Stephan
Destination:
albanien
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